Kann man die Geschichte der Psychologie auf einem einzigen Bild darstellen? Natürlich nicht… aber einen Versuch ist es doch Wert! Sie sehen auf dem Gemälde der Künstlerin Dorota Nowaczyk mit Sigmund Freud, Burrhus Frederick Skinner, Carl Rogers und Louis Leon Thurstone vier bedeutende Vertreter ganz unterschiedlicher psychologischer Forschungsrichtungen…

Sigmund Freud, 1856 – 1939

Schon in der Antike gab es Versuche, die Psyche des Menschen auf Grundlage wissenschaftlichen Denkens zu verstehen. Doch es war Sigmund Freud vorbehalten, als erster ein System theoretischer Annahmen zu schaffen, welches ein umfassendes Verständnis menschlichen Verhaltens zum Ziel hatte. Der Mensch wird dabei als von unbewussten Motiven weitgehend bestimmt gedeutet. Über die Betrachtung der Träume und Assoziationen seiner Patienten versuchte Freud Zugang zu diesen unbewussten Motiven zu erhalten.

Die Biografie des Menschen in den Mittelpunkt stellend analysierte Freud dessen Entwicklung vornehmlich als eine Auseinandersetzung sexueller Wünsche mit zivilisationsbedingten Beschränkungen. Sein Begriff von Sexualität war dabei viel weiter gefasst als dies zu seiner Zeit in der Alltagssprache üblich war – bereits hieraus ergaben sich eine Fülle von Missverständnissen und Anfeindungen, welcher Freuds Psychoanalyse in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhundert ausgesetzt war. Inhaltlich ist schwer zu klären, welche Grundannahmen Freuds als brauchbar für psychologisches und therapeutisches Wirken gelten können. Mit Begriffen wie „Ödipuskomplex“, „Narzismus“, sowie „Ich, Es und Über-Ich“ schuf er zwar ein schillerndes Netz von Deutungsmustern menschlichen Verhaltens. Doch Beweise für die Richtigkeit seiner Annahmen blieb er zumeist schuldig – Freuds Theorien gelten noch heute in weiten Teilen als schwer beweisbar oder widerlegbar.

Freuds Schüler und Kollegen konnten mit eigenständigen Varianten der psychoanalytischen Theorie deren Wandlungsfähigkeit unterstreichen. So entstand Carl Gustav Jungs (1875 – 1961) Theorie der „Archetypen“, Urbilder der Menschheit, welche als kollektives Unbewusstes in jedem Menschen gespeichert seien und so dessen Seele mit bestimmen.

Alfred Adlers (1870 – 1937) Individualpsychologie sah den Menschen als ein mit Minderwertigkeitsgefühlen kämpfendes Individuum, welches bemüht ist, diese empfundene Minderwertigkeit nach einem in der Kindheit angelegten Lebensplan zu überwinden und für sich selbst Geltung zu erlangen.

Wilhelm Reichs (1897 – 1957) Bemühungen, auch ohne Freuds Annahme eines Todestriebes auszukommen und körperorientierte Elemente in die Psychotherapien zu integrieren führten zu neuen, zum Teil noch heute angesehenen Therapieformen.

Wenn auch Freuds Verständnis vom Menschen heute als einerseits zu wenig wissenschaftlich, andererseits zu eindimensional auf triebhafte Impulse ausgerichtet erscheint, so blieb doch die Psychoanalyse mit ihrem Versuch, den Menschen aus seiner Biografie, insbesondere seiner Kindheitsentwicklung heraus zu verstehen, ein zentraler Baustein psychologischer Forschung und klinischer Therapie.

Louis Leon Thurstone, 1887 – 1955

Freuds Deutungen von psychischen Störungen hatten oft die Form von Gleichnissen, sie waren phantasievoll und bisweilen fast romanhaft. Thurstone setzte diesem Ansatz das kühle Verständnis eines präzisen Naturwissenschaftlers entgegen, welcher versucht, die Unterschiede zwischen den Menschen durch Tests und Fragebogen zu erforschen.

Während Raymond Bernard Cattell (1905 – 1998) mit ähnlichem Hintergrund wie Thurstone vor allem Modelle der Persönlichkeitstheorie entwarf, welche wiederum über Persönlichkeitsfragebogen erhoben werden sollten, konzentrierte sich Thurstone auf die Intelligenzforschung.

Vorgänger von Thurstone hatten bereits die Idee entwickelt, dass es ein Maß für die Intelligenz von Menschen geben könne, welches in der Lage wäre, seine Problemlösefähigkeiten abzubilden. Es war jedoch Thurstone, der statt eines allumfassenden Standardwertes der Intelligenz den Versuch machte, diese genauer zu erfassen. Er erhob die Problemlösefähigkeiten in sieben verschiedenen Bereichen, um so ein differenziertes Bild von den Fähigkeiten eines Menschen erhalten. So unterschied er z.B. zahlengebundene, sprachgebundene und figurale Problemlösefähigkeiten.

Zwar wurden später eine Reihe von Alternativen zu Thurstones Intelligenzfaktoren entwickelt, der Grundgedanke Thurstones hat jedoch bis heute Gültigkeit: Die Intelligenz eines Menschen ist nicht allein durch eine Zahl ausdrückbar, es ist notwendig ein umfassendes Bild der Fähigkeiten des Menschen im Umgang mit unterschiedlichen Problemstellungen zu erstellen. Wer z.B. gut rechnen kann, muss deswegen nicht notwendiger Weise auch ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen haben.

Fragebogen und Tests haben in der modernen Psychodiagnostik einen festen Platz erobert, weil sie zusätzliche Informationsquellen zu den eher subjektiven Einschätzungen des Diagnostikers aus Gesprächen und Verhaltensbeobachtungen heraus sind. Andererseits wissen wir heute auch, dass die Aussagefähigkeit von Tests immer begrenzt bleibt, weil sie dem Einzelfall nicht so gut gerecht werden können, wie dies ein persönliches Gespräch ermöglicht.

Carl Rogers, 1902 – 1987

Die klassische Psychoanalyse nach Freud sah vor, dass der Therapeut als “Analytiker” letztlich dem Patienten mitteilte, welche Zusammenhänge sich aus den Schilderungen und Assoziationen des Patienten erkennen ließen.

Dieser hierarchische Ansatz, der den Therapeuten als den Wissenden, den Patienten als im Umgang mit seiner Störung Inkompetenten festschrieb, rief in der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts zunehmend Gegenströmungen im Therapeutenlager hervor, welche später unter dem Begriff „humanistische Psychologie“ zusammengefasst wurden.

Einer dieser humanistischen Therapeuten war Carl Rogers, der ab Mitte der 40er Jahre seine eigenen therapeutischen Vorstellungen in eine neue Therapieform, die „Gesprächspsychotherapie“, brachte. Rogers hatte ein grundlegend anderes Menschenbild als der Kulturpessimist Freud.

Er sah im Menschen ein Lebewesen, welches von Geburt an in seinen Erfahrungen von einer anderen Person verstanden und ohne Vorbedingungen wertgeschätzt werden will. Seinen Patienten, die er lieber „Klienten“ nannte, begegnete er mit Wertschätzung, Offenheit und Respekt. Die Aufgabe des Therapeuten sah er darin, ohne den Klienten zu bevormunden, diesem ein Spiegel seiner Selbst zu sein, ihn auf diese Weise bei der Lösung seiner eigenen Konflikte zu begleiten.

Diese Grundhaltung ist auch heute das Bestimmende der Gesprächspsychotherapie.

Weitere wichtige Ansätze der humanistischen Psychologie wurden in der Gestalttherapie von Fritz Pearls (1893 – 1970) erprobt. Die Gestalttherapie bemüht sich darum, Beziehungen und Konflikte im „Hier und Jetzt“ zu lösen, dabei arbeitet sie mit kreativen Methoden, bisweilen spielerisch und szenisch, um Therapie zu einem möglichst lebendigen Prozess werden zu lassen.

Die Kritiker der humanistischen Psychologie wiesen – zum Teil zurecht – darauf hin, dass deren Methoden wenig wissenschaftliches Fundament hätten. Die Forderungen der humanistischen Psychologie, Therapie nicht „vom hohen Sockel“ aus zu betreiben und den Klienten als sich entwickelnden Menschen zu betrachten, sind jedoch auch heute noch aktuell. Sie haben mittlerweile auch andere Therapieformen beeinflusst. Zudem haben sie weitergehende gesellschaftliche Bedeutung erlangt, z.B. für den Umgang von Ärzten mit Patienten in anderen klinischen Therapiefeldern.

Burrhus Frederick Skinner, 1904 – 1990

Ist es wirklich möglich, den Menschen durch symbolische Deutungen seiner Handlungen, Träume und Störungen zu verstehen und zu heilen, so wie Freud das annahm? Die Antwort der Behaviouristen (Behaviour = Verhalten), von denen Skinner der bekannteste ist, lautet: Erforschbar ist letztlich nur das Verhalten von Lebewesen. Skinner und seine Kollegen begannen mit ihren berühmten Rattenexperimenten, welche zu Grundpfeilern der Lerntheorie führten und damit die pädagogische Diskussion über Jahrzehnte prägten.

Skinner zeigte die große Wirksamkeit von „Verstärkern“ auf, von Lob und Tadel, und er beschäftigte sich intensiv mit der Frage, wie Menschen effizienter und selbstbestimmter lernen können.

Die manipulative Seite des Lernens, aber auch seine ungeheuren Chancen wurden deutlich, als die Behaviouristen ihre Theorien der „operanten und klassischen Konditionierung“ von der Tierwelt auch auf den Menschen übertrugen. Aus ihrer Sicht ist es in aller erster Linie von Art und Inhalt des Lernens abhängig, wie erfolgreich wir im Leben sind, welche Grundwerte wir uns aneignen und welche Aufgaben wir in Gesellschaft und Familie zu übernehmen bereit sind.

Skinner zeigte den Menschen einerseits als manipuliertes Wesen, welches teilweise in seinem Verhalten seinen Laborratten gleicht. Andererseits zeigte er Wege auf, wie der Mensch ganz bewusst seinen individuellen Lernweg finden kann.

Als Folge dieses Ansatzes entstand die Verhaltenstherapie. Diese versucht die aktuellen Probleme des Klienten konkret aufzugreifen, und in einem zügigen Prozess der Auseinandersetzung zur Lösung dieser Probleme zu gelangen. Die „Schlachtpläne“ der Verhaltenstherapeuten sind oft direkt auf die Störung ausgerichtet: So können Phobiker (Angstneurotiker) ganz gezielt schrittweise mit den angstauslösenden Situationen konfrontiert werden, um mit Hilfe des Therapeuten diese Ängste zu überwinden.

Kritiker haben eingewandt, dass die Verhaltenstherapie nur an den Symptomen ansetze, dass es jedoch oft „dahinterliegende“ Probleme gebe, welchen nicht auf den Grund gegangen würde. Dieser Einwand ist gewichtig. Dennoch ist zu bedenken, dass in vielen Fällen die kurzfristige, gezielte Behandlung einer konkreten Störung ein angemesseneres Mittel darstellen kann als eine langfristige Therapie, welche eine umfassende Erfolgsgarantie auch nicht bieten kann.

Epilog

Es ist bemerkenswert, dass die Geschichte der Psychologie nicht dazu geführt hat, dass eine der hier skizzierten Grundrichtungen erheblich an Bedeutung verloren hätte. Vielmehr ist moderne Psychodiagnostik und Psychotherapie darauf ausgerichtet, die Potentiale dieser Richtungen fallbezogen zu kombinieren oder sogar zu verschmelzen.

Die Psychoanalyse mahnt uns, den Menschen als ein sich aus der Kindheit heraus entwickelndes Wesen zu begreifen, welches nur zum Teil Herr der eigenen Entscheidungen ist.

Die Intelligenz- und Persönlichkeitsforschung mit ihren standardisierten Tests und Fragebögen bietet dem Diagnostiker die Möglichkeit, zusätzlich zu seinen subjektiven Eindrücken auch eine unabhängige Datenquelle zu nutzen, welche helfen kann, seine eigenen Vorurteile und Wahrnehmungsverzerrungen zu relativieren.

Die humanistische Psychologie erinnert daran, den Klienten als ein gleichwertiges Wesen voller Potentiale zu betrachten, welches nicht manipuliert werden sollte.

Der Behaviourismus und die Verhaltenstherapie zeigen auf, dass es Sinn machen kann, ganz konkret an bestimmten Problemen zu arbeiten, welche den Klienten stören. Das Leben ist in dieser Sichtweise auch als lebenslanger Lernprozess zu betrachten, welchen wir effizient und zielgerichtet betreiben sollten.

Die Psychologie wird sich vor allem dann als wirklich hilfreiche Wissenschaft einbringen können, wenn sie mithilft, unideologisch und flexibel je nach Problemstellung und Bedürfnissen des Klienten, unterschiedliche Methoden nutzbar zu machen.